Freitagsgebet
/von Marcel Zumbühl, Vantera. Es ist meine langjährige Passion Länder zu besuchen, in denen brisante politische und wirtschaftliche Umwälzungen stattfinden: Meine erste Reise unternahm ich mit einem Schulfreund, mit dem ich heute noch unterwegs bin, 1968 anlässlich der Mai-Unruhen nach Paris. Seither haben wir viele Hotspots besucht. Dabei stellen wir immer wieder fest, dass die Realität sich oft anders präsentiert, als dies auch ein gut informierter Zeitgenosse aufgrund der Medienberichte erwartet.
Im Iran musste das Bild besonders stark korrigiert werden: Auffällig ist die geringe Polizei- und Militärpräsenz. Am Flughafen in Teheran passiert man rasch und unkompliziert die bescheidenen Kontrollen ohne irgendwelchen Formurale und ohne, dass das Gepäck geöffnet wird. In Zürich geht es nicht viel schneller, in den USA dafür wesentlich länger. Dieser Eindruck bestätigt sich auf der etwa 30 km langen Fahrt in die Stadt, wo man keinen einzigen Checkpoint passieren muss.
Trotz der internationalen Boykotte ist auch die Versorgungslage in den Geschäften recht gut. Man findet in grossen Mengen auch die neuesten westlichen Konsumgüter wie iPad , iPhone etc. Interessant ist, zu beobachten, wie sich die religiöse Diktatur der Mullahs auf den Alltag vor allem der Frauen auswirkt. Bereits im Flugzeug sieht man Erstaunliches: Beim Abflug in Istanbul trägt keine der weiblichen Passagiere (fast alles Iranerinnen) ein Kopftuch. Bei der Landung in Teheran zogen alle Damen das Kopftuch an. Das Kopftuch wird in Iran konsequent getragen, aber oft recht leger.
Vor allem die jüngeren und oft attraktiven Iranerinnen kokettieren mit dem Kopftuch gekonnt. Man trägt es ganz hinten und lässt die Haarpracht voll zur Geltung kommen. Es sind eher die älteren Damen, die den Tschador (schwarzes Gewand ohne Gesichtsbedeckung) tragen. Burkas hingegen sieht man keine. Frauen sind im Berufsleben voll präsent. Sie fahren auch alleine Auto. Am Abend flanieren sie in grosser Zahl in der Stadt. Man sieht auch viele Liebespaare in den Freizeitanlagen und in den Restaurants, die recht zärtlich und zumindest dem Anschein nach gleichberechtigt miteinander umgehen.
Minarette prägen in Teheran nicht das Stadtbild. Im Vergleich zu arabischen Ländern nimmt man auch keine Muezzins und die dröhnenden Lautsprecher wahr, welche zum Gebet aufrufen. Selbst in der heiligen Stadt Chom hat man den Eindruck, dass die täglichen Gebete nicht sehr intensiv praktiziert werden.
Sehr aufschlussreich war auch der Besuch des berühmt-berüchtigten Freitagsgebets in der Universität von Teheran, von dem so oft in den Medien berichtet wird: Trotz der Predigt von Grossayatollah Ahmed Khatami, der dem Revolutionsführer Ali Chameni nahe steht, war der Platz unter einem Zelt nicht voll. Schätzungsweise waren rund 3000 Leute anwesend. Man sah keine Massen hinströmen. Die Teilnehmer wurden mit einer Vielzahl von alten Bussen hin transportiert. Neben Militäreinheiten werden anscheinend auch Leute gegen Bezahlung aufgeboten. Freiwillig gehe offenbar kaum einer hin.
Nach mehrmaligem Drängen und ausgiebigen Befragungen durch als Journalisten getarnte Geheimdienstler wurden auch wir in Begleitung reingelassen und konnten auf der Pressetribüne dank einer Simultanübersetzung die Rede des Ayatollahs mitverfolgen. Nach einer Stunde wurden wir aber plötzlich mit der Bemerkung ‘Your time is over’ schnell hinauskomplementiert, und es wurden unsere Fotoaufnahmen gecheckt.
Teheran ist übrigens kostengünstig und unkompliziert zu erreichen. Die türkische Gesellschaft Pegasus fliegt täglich für rund CHF 400 von Zürich via Istanbul nach Teheran und zurück. Etwas mühsamer ist allerdings das Einholen des Visums.